Verborgene Schätze: "Baal" und "Luna"
Fr, 2006-09-29 02:00 — AzNamibia16
Die eigentlichen Höhepunkte des Bank Windhoek Arts Festival haben nur wenige mitbekommen. Szenen aus der Brecht-Inszenierung "Baal", die im Rahmen des Bank Windhoek Arts Festival aufgeführt wurde. Die Hauptrolle spielte Mike Nghipunya als Baal.Die Theaterinszenierung "Baal" und das Konzert der südafrikanischen Sängerin Luna waren wahrscheinlich die kulturellen Höhepunkte des Bank Windhoek Arts Festival, das am vergangenen Sonntag zu Ende ging. Leider haben nur wenige Zuschauer diese Vorstellungen gesehen.
"Excuse me, where is the Exit?" Eine Frau sucht den Ausgang. Doch bei Brecht gibt es vielleicht keinen, jedenfalls nicht in der Inszenierung von Bernard Wolf.
Der bundesdeutsche Regisseur hat mit Studenten und Dozenten der Universität von Namibia (UNAM) Bertold Brechts Erstlingsdrama "Baal" erarbeitet. Herausgekommen ist eine höchst originelle, stellenweise auch schockierende Inszenierung, wie es sie in Windhoeks Theaterlandschaft nur sehr selten gibt.
Die Bühne im UNAM Space Theatre ist mit einem grünen Laubteppich bedeckt. Als einzige Kulisse dient ein Podest, auf dem Badewanne und Toilette stehen. Die Deko: Viele einzelne Damenschuhe, sie stehen im Kühlschrank, sie stecken in den Seitenwänden des Podestes. Von einem Hochstuhl tönt es in eintönigem Sprechgesang wie von der Kanzlei einer gregorianischen Kirche: Die Geschichte von Baal ist kein Einzelfall, verkündet der Sprecher wieder und wieder, im Wechsel mit anderen Botschaften. Am Eingang steht eine zierliche, ganz in grün gekleidete Person mit überdimensionalem Afrolook. Sie weist den Besuchern die Plätze, es sind genug da, leider, denn viel zu wenige Zuschauer haben am vergangenen Sonntag in das abgelegene Uni-Theater gefunden. "Entschuldigung, wo ist der Ausgang?", fragt eine Frau reihum, und sie sieht besorgt, fast ängstlich aus. "Es gibt keinen", soll sie später erfahren, oder, ganz nach "Hotel California": "You can check out, but you can never leave."
Das Stück beginnt, bevor das Publikum beidseitig der Bühne seine Plätze gefunden hat. Die Grenzen zwischen Zuschauer und Akteuren, zwischen Bühne und Auditorium sind aber auch fließend. Baal betritt den Raum. Ein gutaussehender junger Mann (Mike Nghipunya), cool mit Sonnenbrille, Baseballkappe und Pokerface. Er läuft auf einen Zuschauer in der ersten Reihe zu und streckt ihm spontan die Hand zum Gruß entgegen. Als die Geste erwidert wird, zieht er blitzschnell seine Hand weg und bricht in schadenfrohes Gelächter aus. Das ist Baal. Sympathisch und ein Ekel. Charmant und gemein. Verführerisch und todbringend.
So geht die Geschichte: Er ist ein talentierter Dichter, schlägt jedoch jeden, der ihn fördern will, rücksichtslos vor den Kopf. Frauen sind ihm verfallen, er benutzt sie und wirft sie dann weg. Baal vergewaltigt, randaliert, beleidigt, verführt, und trotzdem ist keiner gegen seinen Charme gewappnet. Als er am Ende zum Mörder wird und fliehen muss, gerät er selbst in Todesgefahr. Brechts offenes Ende ist in dieser Inszenierung eindeutig: Am Ende stirbt Baal ganz und gar jämmerlich - und allein.
Der junge Oshivambo-Sprechende Mike Nghipunya ist die ideale Besetzung für die Rolle des Baal. Er hat das unwiderstehliche Lächeln eines Playboys, und er kann es kalkuliert einsetzen. Aber er quält sich auch. Seine Überlegenheit und sein Genie machen ihm zu schaffen, führen ihn zu selbstdestruktiven Handlungen. In ihm wird ersichtlich, was man über das 1918 entstandene Theaterstück sagt: Dass Bertold Brecht mit der Figur des Baal gegen die "Verwurstung" dichterischen Talents anschreiben wollte.
Nghipunya stehen eine Reihe von ebenso talentierten Hobbyschauspielern zur Seite. Danie Strydom ist köstlich als randalierender Prolo-Kumpel von Baal, Nelleke Louw sehr süß als Mjurk, Suzette van der Smit als Barfrau ein wahres Urgestein. James Chabuka spielt Ekart, Baals Freund und Gegenüber. Der junge Theaterstudent aus Sambia hat eine umwerfende Stimme und tanzt für Baal einen Todestanz, der einem Schauer über den Rücken laufen lässt.
Bernard Wolfs "Baal"-Inszenierung ist auch witzig. Da nämlich, wo die Handlung für das Windhoeker Publikum vielleicht zu gewagt wäre, da hilft sich der Regisseur mit einem kleinen Trick. Bei einer Szene etwa, die sich zwei Studentinnen nicht zu spielen trauten, musste Regieassistent Queran Kannemeyer einspringen. Mit Ballettrock bekleidet und Goldlöckchen-Perücke klopft er an Baals Zimmertüre: Ein kicherndes Callgirl mit eindeutig männlichem Schmerbauch. Als die beiden Männer von der mütterlichen Emilie (Mara Baumgartner) bei ihren erotischen Spielchen erwischt und ausgeschimpft werden, lautet die lahme Ausrede des Regieassistenten: "Guck mal, eigentlich sollte ich ja gar nicht hier sein. Aber ich musste einspringen für zwei Schauspielerinnen: Die eine wollte die Szene aus religiösen Gründen nicht spielen, die andere, weil ihr Vater sie drei Mal umgebracht hätte, wenn er sie so gesehen hätte."
Wolf hat seine Schauspieler viel improvisieren lassen. Das ist dem Stück anzumerken. Die Akteure haben teils ihre eigene Sprache entwickelt; mancher Witz entsteht etwa durch einen lustigen Spruch auf Afrikaans, über den sich bestimmt auch Brecht gefreut hätte.
Es sei ein "tolles Abenteuer" gewesen, sagt Wolf über seine Projektarbeit an der Theaterabteilung der Universität von Namibia. Der Regisseur musste sich mit vielen Widrigkeiten auseinandersetzen. So gab es anfangs kein Licht im Probenraum, von den Drama-Studenten der Uni hatten sich überhaupt nur fünf für eine Teilnahme an der Inszenierung interessiert, und das Konzept Pünktlichkeit scheint den Mitwirkenden völlig fremd gewesen zu sein. "So ist das halt im Leben, es läuft halt nicht immer glatt", sagt Wolf rückblickend. "Hauptsache am Ende wars gut."
Dass aber nur so wenig Publikum zur Aufführung gefunden hat, findet er schade. Doch Wolf hofft, dass das Stück auch ohne ihn weiterlebt und es zu weiteren Aufführungen kommt. Für ihn jedenfalls, glaubt der Regisseur, war es nicht der letzte Besuch in Namibia: Als nächstes will er am Waterberg mit Hereros den "Wilhelm Tell" inszenieren.
Verborgene Schätze: "Baal" und "Luna"
Fr, 2006-09-29 02:00 — AzNamibia16
Die eigentlichen Höhepunkte des Bank Windhoek Arts Festival haben nur wenige mitbekommen. Szenen aus der Brecht-Inszenierung "Baal", die im Rahmen des Bank Windhoek Arts Festival aufgeführt wurde. Die Hauptrolle spielte Mike Nghipunya als Baal.Die Theaterinszenierung "Baal" und das Konzert der südafrikanischen Sängerin Luna waren wahrscheinlich die kulturellen Höhepunkte des Bank Windhoek Arts Festival, das am vergangenen Sonntag zu Ende ging. Leider haben nur wenige Zuschauer diese Vorstellungen gesehen.
"Excuse me, where is the Exit?" Eine Frau sucht den Ausgang. Doch bei Brecht gibt es vielleicht keinen, jedenfalls nicht in der Inszenierung von Bernard Wolf.
Der bundesdeutsche Regisseur hat mit Studenten und Dozenten der Universität von Namibia (UNAM) Bertold Brechts Erstlingsdrama "Baal" erarbeitet. Herausgekommen ist eine höchst originelle, stellenweise auch schockierende Inszenierung, wie es sie in Windhoeks Theaterlandschaft nur sehr selten gibt.
Die Bühne im UNAM Space Theatre ist mit einem grünen Laubteppich bedeckt. Als einzige Kulisse dient ein Podest, auf dem Badewanne und Toilette stehen. Die Deko: Viele einzelne Damenschuhe, sie stehen im Kühlschrank, sie stecken in den Seitenwänden des Podestes. Von einem Hochstuhl tönt es in eintönigem Sprechgesang wie von der Kanzlei einer gregorianischen Kirche: Die Geschichte von Baal ist kein Einzelfall, verkündet der Sprecher wieder und wieder, im Wechsel mit anderen Botschaften. Am Eingang steht eine zierliche, ganz in grün gekleidete Person mit überdimensionalem Afrolook. Sie weist den Besuchern die Plätze, es sind genug da, leider, denn viel zu wenige Zuschauer haben am vergangenen Sonntag in das abgelegene Uni-Theater gefunden. "Entschuldigung, wo ist der Ausgang?", fragt eine Frau reihum, und sie sieht besorgt, fast ängstlich aus. "Es gibt keinen", soll sie später erfahren, oder, ganz nach "Hotel California": "You can check out, but you can never leave."
Das Stück beginnt, bevor das Publikum beidseitig der Bühne seine Plätze gefunden hat. Die Grenzen zwischen Zuschauer und Akteuren, zwischen Bühne und Auditorium sind aber auch fließend. Baal betritt den Raum. Ein gutaussehender junger Mann (Mike Nghipunya), cool mit Sonnenbrille, Baseballkappe und Pokerface. Er läuft auf einen Zuschauer in der ersten Reihe zu und streckt ihm spontan die Hand zum Gruß entgegen. Als die Geste erwidert wird, zieht er blitzschnell seine Hand weg und bricht in schadenfrohes Gelächter aus. Das ist Baal. Sympathisch und ein Ekel. Charmant und gemein. Verführerisch und todbringend.
So geht die Geschichte: Er ist ein talentierter Dichter, schlägt jedoch jeden, der ihn fördern will, rücksichtslos vor den Kopf. Frauen sind ihm verfallen, er benutzt sie und wirft sie dann weg. Baal vergewaltigt, randaliert, beleidigt, verführt, und trotzdem ist keiner gegen seinen Charme gewappnet. Als er am Ende zum Mörder wird und fliehen muss, gerät er selbst in Todesgefahr. Brechts offenes Ende ist in dieser Inszenierung eindeutig: Am Ende stirbt Baal ganz und gar jämmerlich - und allein.
Der junge Oshivambo-Sprechende Mike Nghipunya ist die ideale Besetzung für die Rolle des Baal. Er hat das unwiderstehliche Lächeln eines Playboys, und er kann es kalkuliert einsetzen. Aber er quält sich auch. Seine Überlegenheit und sein Genie machen ihm zu schaffen, führen ihn zu selbstdestruktiven Handlungen. In ihm wird ersichtlich, was man über das 1918 entstandene Theaterstück sagt: Dass Bertold Brecht mit der Figur des Baal gegen die "Verwurstung" dichterischen Talents anschreiben wollte.
Nghipunya stehen eine Reihe von ebenso talentierten Hobbyschauspielern zur Seite. Danie Strydom ist köstlich als randalierender Prolo-Kumpel von Baal, Nelleke Louw sehr süß als Mjurk, Suzette van der Smit als Barfrau ein wahres Urgestein. James Chabuka spielt Ekart, Baals Freund und Gegenüber. Der junge Theaterstudent aus Sambia hat eine umwerfende Stimme und tanzt für Baal einen Todestanz, der einem Schauer über den Rücken laufen lässt.
Bernard Wolfs "Baal"-Inszenierung ist auch witzig. Da nämlich, wo die Handlung für das Windhoeker Publikum vielleicht zu gewagt wäre, da hilft sich der Regisseur mit einem kleinen Trick. Bei einer Szene etwa, die sich zwei Studentinnen nicht zu spielen trauten, musste Regieassistent Queran Kannemeyer einspringen. Mit Ballettrock bekleidet und Goldlöckchen-Perücke klopft er an Baals Zimmertüre: Ein kicherndes Callgirl mit eindeutig männlichem Schmerbauch. Als die beiden Männer von der mütterlichen Emilie (Mara Baumgartner) bei ihren erotischen Spielchen erwischt und ausgeschimpft werden, lautet die lahme Ausrede des Regieassistenten: "Guck mal, eigentlich sollte ich ja gar nicht hier sein. Aber ich musste einspringen für zwei Schauspielerinnen: Die eine wollte die Szene aus religiösen Gründen nicht spielen, die andere, weil ihr Vater sie drei Mal umgebracht hätte, wenn er sie so gesehen hätte."
Wolf hat seine Schauspieler viel improvisieren lassen. Das ist dem Stück anzumerken. Die Akteure haben teils ihre eigene Sprache entwickelt; mancher Witz entsteht etwa durch einen lustigen Spruch auf Afrikaans, über den sich bestimmt auch Brecht gefreut hätte.
Es sei ein "tolles Abenteuer" gewesen, sagt Wolf über seine Projektarbeit an der Theaterabteilung der Universität von Namibia. Der Regisseur musste sich mit vielen Widrigkeiten auseinandersetzen. So gab es anfangs kein Licht im Probenraum, von den Drama-Studenten der Uni hatten sich überhaupt nur fünf für eine Teilnahme an der Inszenierung interessiert, und das Konzept Pünktlichkeit scheint den Mitwirkenden völlig fremd gewesen zu sein. "So ist das halt im Leben, es läuft halt nicht immer glatt", sagt Wolf rückblickend. "Hauptsache am Ende wars gut."
Dass aber nur so wenig Publikum zur Aufführung gefunden hat, findet er schade. Doch Wolf hofft, dass das Stück auch ohne ihn weiterlebt und es zu weiteren Aufführungen kommt. Für ihn jedenfalls, glaubt der Regisseur, war es nicht der letzte Besuch in Namibia: Als nächstes will er am Waterberg mit Hereros den "Wilhelm Tell" inszenieren.